„Just Transition“: Umkämpfte Gerechtigkeit beim UN-Klimagipfel 2018

Sybille Bauriedl

„Gerechtigkeitsvorstellungen variieren je nach Kontext, politisch-ideologischem und theoretischem Standpunkt. Sie sind gesellschaftlich umkämpft und verändern sich im Laufe der Zeit. Gerechtigkeit umfasst darüber hinaus unterschiedliche politische Dimensionen wie gesellschaftliche und politische Teilhabe, Repräsentation von Interessen oder Verteilung gesellschaftlichen Wohlstands (Nancy Fraser 2003). Mit dem Begriff der Klimagerechtigkeit ist es nicht anders. In der internationalen Klimapolitik bedeutet Klimagerechtigkeit, entsprechend der UN-Klimarahmenkonvention von 1992 (United Nations Framework Convention on Climate Change, UNFCCC), dass Industrieländer eine höhere Last bei der Reduzierung der globalen Treibhausgasemissionen zu tragen haben als die so genannten Entwicklungsländer“ (Achim Brunnengräber und Kristina Dietz 2016 in „Wörterbuch Klimadebatte“, S. 157).
Der UN-Klimagipfel im Dezember 2018 in Kattowice (COP 24) hat gezeigt, dass Gerechtigkeitsvorstellungen wieder mal verschoben wurden. Der Klimagerechtigkeitskonsens, auf dem die UN-Klimaschutzmechanismen seit dem Kyoto-Protokoll von 1997 beruhen, hat eine neue geopolitische Zuordnung. Unter dem Begriff „Just Transition“ (gerechter Übergang) wird nun auch die gerechte Verteilung der Klimaschutzlasten zwischen den Industriestaaten diskutiert. Und diese Diskussion wurde von den Industriestaaten aufgebracht, die am umfangreichsten Kohle abbauen und verbrennen. Sie erwarten mit dem Ruf nach einem gerechten Übergang eine Kompensation von den anderen Industriestaaten, bevor sie aus dem Kohleabbau aussteigen. Ein gerechter Übergang ist im Sinne der europäischen Kohleländer nichts anderes ein Förderfond für die Bewältigung des Strukturwandels in den Kohleregionen.

„Just Transition“: Kohleregionen subventionieren für den Klimaschutz
Die Idee von „Just Transition“ beim UN-Klimagipfel 2018 in Katowice (COP 24) wurde insbesondere von den Verhandlungsführer*innen der europäischen Kohlestaaten und der Europäische Gewerkschaftsbund (ETUC) vorgetragen. Die ETUC hatte schon in der Vorbereitung auf den Klimagipfel 2018 ihre neue Gerechtigkeitsposition mit dem Slogan “how to protect the climate without sacrificing quality jobs” in Stellung gebracht und warnte vor einem gesellschaftlichen Kollateralschaden einer postfossilen Wirtschaft.Hier zeigt sich auch schon für die oberflächliche Betrachter*in, dass sich die Profiteure der fossilen Industrien den Übergang in eine postfossile Zeit kompensieren lassen wollen.
Auch der Internationale Gewerkschaftsbund (ITUC) hat 2015 ein Statement veröffentlicht, in dem sie klar stellt, dass es kein Abwägen von Klimaschutzzielen und Industriearbeitsplätzen geben kann und dass die Lebensräume von Menschen im globalen Süden schon heute durch Treibhausgasemissionen der Industrieländer bedroht sind.

Bis zum Klimagipfel 2018 ist jedoch immer deutlicher geworden, dass zumindest die europäischen Industriegewerkschaften den Begriff „Just Transition“ neu besetzt haben für eine wirtschaftsorientierte Zielsetzung, die nicht mit einer sozial inklusiven Klimagerechtigkeit zu verbinden ist und es nicht um einen Arbeitsplatzerhalt um jeden Preis gehen kann und die Abfederung des Strukturwandels nicht allein der Gesamtgesellschaft aufgebürdet werden kann, nachdem die fossilen Unternehmen jahrzehntelang von der kostenlosen Treibhausgasemission profitiert haben.
Die International Labour Organization (ILO) hat 2017 noch einen anderen Standpunkt zu Just Transition veröffentlicht, in dem sie feststellt, dass Klimagerechtigkeit zu einer postfossilen Gesellschaft und nachhaltigen Wirtschaft führen muss, die auch mit geschlechtergerechten und angemessenen Arbeitsverhältnissen und Löhnen verbunden ist und Frauen als relevante Akteure des Klimaschutzes berücksichtigt (auch im Bereich der unbezahlten Sorgearbeit). Dabei liegen schon heute Vorschläge für einen Umbau kohlebasierte Industrien vor.

„Schlesische Deklaration für Solidarität und einen gerechten Übergang“
Die Unterzeichner der Deklaration fordern einen Paradigmenwechsel der internationalen Klimapolitik für eine klimaresiliente Wirtschaft und Gesellschaft, die hohes Wachstum sichert und gleichzeitig einen gerechten Übergang der Erwerbstätigen gewährleistet. Die betroffenen Beschäftigten fossiler Industrien sollen mit neuen Arbeitsplätze versorgt werden. Der Arbeitsstandard und der Wohlstand von Arbeitern und ihren Familien soll durch die nationalen Emissionsreduktionbeiträge und durch Klimawandelanpassungen nicht gefährdet werden. Ein gerechter Übergang soll mit neuen Qualitätsarbeitsplätzen in den betroffenen Regionen verbunden werden.
In der Konsequenz müssten Infrastrukturen für eine postfossile Wirtschaft in den Kohle- und Altindustrieregionen aufgebaut und Industriearbeiter umgeschult werden, bevor die emissionsintensiven Industrien runtergefahren werden.

Schon der neunte Petersberger Klimadialog im Juni 2018 stand unter dem Motto „Changing together for a just transition“. Der Dialog dient für die deutsche Bundesregierung dazu, die Koalition der klimaschutzwilligen Staaten auf eine einzuschwören, versicherten die delegierten Minister*innen, dass sie die anstehenden Veränderungen im Sinne einer „Just Transition“ sozial gerecht gestalten wollen. Der Präsident der 24. Weltklimakonferenz, Staatssekretär Michal Kurtyka, hatte schon dort formuliert: „Die Menschen gehören in das Herz unserer Politik. Das heißt, dass unsere Klimapolitik Vorteile für die Gesellschaft und einen gerechten Wandel für alle Bürgerinnen und Bürger sicherstellen muss.“ Gemeint war die Gesellschaft der Industriestaaten, die nach einem Viertel Jahrhundert internationaler Klimaverhandlungen in Zukunft nun auch die Lasten des Klimaschutzes zu spüren bekommen werden. Und diese sollen vorausschauend abgefedert werden.
Die deutsche Bundesumweltministerin Svenja Schulze bringt den Begriff „Just Transition“ auch beim Klimagipfel in Kattowice in jedes Fernsehmikrofon (z.B. Tagesschau 11.12.2018). Sie bringt die notwendige Finanzierung des Strukturwandels in mehr als 40 Kohleregionen Europas durch die EU ins Spiel: „Ich würde es sehr begrüßen, wenn wir im nächsten EU-Haushalt auch mehr Mittel für die vom Strukturwandel betroffenen Regionen bereitstellen“. Allein die betroffenen deutschen Kohleregionen fordern aktuell zusammen 60 Milliarden Euro für neue Jobs und Infrastruktur. Im Vergleich: In den Green Climate Fund zur Finanzierung der notwendigen Klimaanpassungsmaßnahmen in Entwicklungsländern hatte Deutschland bisher 750 Mio. Euro beigetragen und in Kattowice noch einmal 1,5 Mrd. angekündigt.

„Just (industrial) Transition“: strategischer Begriff der Klimabewegung
Die international vernetzten sozialen Klima-Bewegungen beziehen sich auf einen machtkritischen Begriff von Klimagerechtigkeit (climate justice). „Sie fassen darunter neben ökologischer und sozialer Verteilungs- und Verfahrensgerechtigkeit auch Gerechtigkeit zwischen Geschlechtern und zwischen ethnischen Gruppen. Beispiele hierfür sind die Netzwerke Climate Justice Now! und Climate Justice Action. Klimagerechtigkeit wird hier mit der Forderung nach gesellschaftlicher Teilhabe und anderen Konsum- wie Produktionsformen verbunden“ (Brunnengräber/Dietz in „Wörterbuch Klimadebatte“, S. 161).

Ursprünglich war „Just Transition“ vor zehn Jahren als ein strategischer Begriff von Umwelt-Gruppen konzipiert worden, die eine Koalition mit Gewerkschaften anstrebten, um die Kämpfe für bessere Arbeitsverhältnisse, Gesundheit und globalen Umweltschutz zu verbinden. Es sollten die Interessengegensätze zwischen Gewerkschaften und Klimabewegung überwunden werden, um den Umbau einer extraktivistischen Ökonomie zu einer regenerativen Ökonomie zu schaffen (vgl. Movement Generation 2011).


Abb. aus Movement Generation 2011, S. 16

Die „Climate Justice Alliance – Communities united for a just transition“ bezieht sich direkt auf die Umweltgerechtigkeitsbewegung der 1980er Jahre, die aus lokalen Protesten gegen einen systematischen Umweltrassismus hervorgegangen ist, der insbesondere arme, schwarze Gemeinschaften Industrieabfällen ausgesetzt hat. Für diese Organisation ist Just transition „a place-based set of principles, processes, and practices that build economic and political power to shift from an extractive economy to a regenerative economy“. Und sie positionieren sich gegen ein Grünes Wachstum im Sinne von Unternehmensprofiten und für eine Idee des Guten Lebens (Buen Vivir) und die Veränderung ungerechter Machtverhältnisse.

GenderCC-Women for Climate Justice hat im Rahmenprogramm des COP 24 ebenfalls ein explizit wachstumskritisches Just Transition-Konzept und eine intersektionale Perspektive auf Gerechtigkeit vertreten: „Just Transition needs to promote rapid decarbonization, challenge social inequalities and overcome a green growth agenda. We need to question the predominant idea of work, power relations and consider intersectional issues (gender, human rights) and the participation of indigenous and local communities“.

Auch die deutsche Klimagerechtigkeitsbewegung rund um Ende Gelände hat im Rahmen der Anti-Kohlekämpfe unter dem Stichwort „gerechte Übergänge“ den Austausch mit Industriegewerkschaften und den Bergbauarbeitern in den Braunkohlerevieren gesucht. (vgl. Tadzio Müller 2016 in der Zeitschrift politische ökologie 144)

Narrativverschiebung von „Gerechtigkeit“ und „Vulnerabilität“
Rund um den Klimagipfel in Paris 2015 hatten viele Vertreter*innen sozialer Klima-Bewegungen noch das Potential Konzepts der „gerechten Transformation“ für strategische Bündnisse und ungenutzte Synergien hervorgehoben, mit dem Klimagerechtigkeits- und Arbeiter*innenbewegung zusammengebracht werden könnten.
Das Synergiepotential ist mit der Übernahme des Begriffs durch die europäischen Industriegewerkschaften und Kohleregionen verpufft. Wenn diese nur noch für eine Einkommenssicherung der Kohlearbeiter kämpfen wollen, dann hat das wenig mit der Idee von Klimagerechtigkeit zu tun.

Die Vertragspartner des UNFCC haben Klimagerechtigkeit bisher als Lastenverteilung zwischen Ländern verstanden, die seit der industriellen Revolution besonders hohe Treibhausgase und damit den Klimawandel verursachen und Ländern, die besonders von den Klimawandelfolgen betroffen sind und über geringe Mittel zur Anpassung verfügen. Dieser Konsens beruhte auf der Anerkennung von ökonomischer Ungleichheiten und ungleicher Verantwortung für die Krisenverursachung und Krisenbetroffenheit. Immerhin!
Auch wenn postkoloniale Macht- und Herrschaftsverhältnisse bisher immer ausgeblendet und durch die Sprachregelung der sogenannten „Industrieländer“ und „Entwicklungsländer“ sogar reproduziert wurden, so ist durch die Ideologie eines linearen, eurozentrischen Modernisierungsideals Regionen im Globalen Süden zumindest ein gewisses Maß an ökonomischer Gerechtigkeit im Sinne einer „nachholenden Entwicklung“ zugesprochen worden. Die Forderungen internationaler sozialer Bewegungen konzentrierten sich auf die Ergänzung prozeduraler Gerechtigkeit im Sinne der demokratischen Teilhabe an klimapolitischen Entscheidungsprozessen.
Bisher drehte sich die Diskussion um die Finanzierung von Anpassungsmaßnahmen in besonders vulnerablen Regionen im Globalen Süden mit Fokus auf die Lebenssituation von armen Frauen. Vulnerabilität wurde als ein Produkt von ungleichem sozio-ökonomischem Status und Einkommen betrachtet, die auf hierarchisierten Geschlechter- und Klassenverhältnissen basieren (vgl. ILO-Report: „Gender, labour and a just transition towards environmentally sustainable economies and societies for all“).

Die Schlesische Deklaration rückt nun Männer mit einem bisher gesicherten Einkommen im Globalen Norden ins Zentrum. Die Gerechtigkeitsdiskussion des letzten Klimagipfels kann daher auch als identitätspolitische und sozialräumliche Wende der Klimadebatte gelesen werden. Sind europäische Kohleregionen im globalen Maßstab besonders vulnerabel? Sind europäische Männer, die in einer fossilen Industrie tätig sind besonders vulnerabel im Vergleich zu anderen Arbeiter*innen?
Oder dient die Diskussion um eine Kompensation der Kohleregionen primär der Verlangsamung des Kohleausstiegs und der anhaltenden Subvention einer destruktiven Industrie?