Klimagerechtigkeit im Podcast und Webinar

(1) Campus Climate Podcast Folge 2 zu „Klimagerechtigkeit“
Ein Projekt von Glokales Leben in Neukölln.
3.6.2020
60 min

Angela Asomah und Carolina Strotmann sprechen mit Sybille Bauriedl über Klimagerechtigkeit, aktivistische Bewegungen, land-grabbing, eurozentristische Klimaschutzpolitik und verschiedene Bündnisse und Akteuer*Innen aus Klimagerechtigkeitsbewegungen.

(2) Fridays for Future Schweiz Webinar 23 „Patriarchat im Klimawandel“
5.6.2020
66 min

Melina Hess und Sybille Bauriedl sprechen über das Patriarchat im Klimawandel und werfen ein anderes Licht auf aktuelle Krisen.

(3) Radiobeitrag auf NDR Welle Nord „Zur Sache: „Fridays for Future“ wird wieder lauter“
14.09.2020
50 min

Mit Sophia Pott von „Fridays for Future“ Lübeck, Cornelia Schmachtenberg von der Jungen Union Schleswig-Holstein und Sybille Bauriedl von der Europa-Universität Flensburg. Moderation Sebastian Parzanny.

Das Konjunkturpaket für Umweltzerstörer

Sybille Bauriedl

Der Koalitionsausschuss der deutschen Bundesregierung hat am 3. Juni 2020 nach zweitägiger Aushandlung ein Konjunkturpaket präsentiert, das den Wirtschaftsstandort Deutschland in der Corona-Krise wiederbeleben soll. Unter dem Titel „Corona-Folgen bekämpfen, Wohlstand sichern, Zukunftsfähigkeit stärken“ wurde ein Paket von 57 Maßnahmen zusammengestellt und mit Budgets belegt, die Entwicklungspfade für die nächsten Jahrzehnte festlegen. Ausgehandelt wurde das Konjunkturpaket durch die gleichen Parteispitzen von CDU/CSU/SPD, die am 20.9.2019 auch schon das Klimaschutzprogramm 2030 beschlossen hatten. Dessen Zielsetzungen und Strategien wurden u.a. von Umweltverbänden und der Fridays for Future-Bewegung stark kritisiert, da damit die Erderwärmung auf 3,5 Grad zusteuert und die Vereinbarungen des Paris Agreements nicht eingehalten werden können.

Koalitionsausschuss des Konjunkturprogramms am 3. Juni 2020 (Presse- und Informationsamt der Bundesregierung/Kugler)

Dieser Weg wird dennoch mit dem aktuellen Milliardenpaket festgeschrieben. Es geht um ein steuern- und schuldenfinanziertes Budget in Höhe von 130 Milliarden Euro, die bis Ende 2021 investiert werden sollen. Der gesamte Bundeshaushalt für das laufende Jahr liegt bei 350 Milliarden Euro. D.h. es stehen Investitionen in Höhe eines Drittels des Jahresbudgets eines der reichsten Länder der Welt zur Verfügung. Damit ließe sich sehr viel Klimagerechtigkeit auf den Weg bringen.
Mehr als die Hälfte dieses Zusatzbudgets wird jedoch in Konsumanreize investiert. Mit einer Förderung der Kaufkraft (Mehrwertsteuersenkung, Kinderbonus, EEG-Umlage-Subventionierung) und Einkommenssicherung (steuerfinanzierte Sozialversicherungs- und Lohnzuschüsse) soll der Absatz von Produkten gesteigert werden. Ein geringerer Anteil des Budgets (25 Mrd. €) ist für die Corona-bedingte Nothilfe von Unternehmen vorgesehen und für Kommunen, die Mehrausgaben für Sozialleistungen aufbringen (insbesondere Wohnzuschüsse, also Kostenübernahme für überhöhte Mieten) und für die Grundausstattung des Gesundheitssektors.
Der größte Batzen der Investitionsmittel in Höhe von 50 Milliarden Euro soll Unternehmen zu Gute kommen, die sogenannte „Zukunftstechnologien“ entwickeln. Dazu gehören neben Forschung und Entwicklung im Bereich Künstlicher Intelligenz auch Elektromobilität und Wasserstoffenergie (9 Mrd. €) und emissionsärmere Antriebe in der Luftfahrt (1 Mrd. €) als sogenannte Klimaschutztechnologien.
Die Bundesregierung versteht „Zukunftsfähigkeit“ offensichtlich als eine Förderung von Problemtechnologien und in der erhöhten Nachfrage nach Konfliktrohstoffen. Allein die für die Elektrifizierung der Mobilität benötigten Rohstoffe werden schon jetzt weltweit und unter sich verschärfenden Wettbewerbsbedingungen nachgefragt. Sie ist schon heute ein Beschleuniger der Ausbeutung von Rohstoffen und eines neuen Extraktivismus (vgl. Lithium-Abbau), mit immensen Schäden für den Naturhaushalt und die Lebensbedingungen in den Abbauregionen.

Mit dem Konjunkturpaket wird nun auch die umstrittene Wasserstoffstrategie massiv gefördert. Hier zeigt sich die Pfadabhängigkeit der deutschen Wirtschaftsförderung am deutlichsten. Nicht nur die Automobilindustrie wird massiv steuerfinanziert (6000 Euro Kaufprämie für einen elektrisch-betriebenen Neuwagen), sondern auch die Schwerindustrie. Wasserstoff als neue Energieform ist (selbst aus Sicht des Bundeswirtschaftsministeriums) noch in der Erprobungsphase und bisher nur zum Antrieb von Zügen und Lastkraftwagen und in der Stahlerzeugung einsetzbar. Außerdem wird für die Aufbereitung von Wasserstoff, bzw. der daraus gewonnenen gasförmigen (Power to Gas) und flüssigen Brennstoffe (Power to Liquid) sehr viel (Öko)Strom benötigt. Davon abgesehen sind die externalisierten ökologischen Kosten und Risiken einer umfangreichen Energieversorgung auf Basis dieser Wasserstofftechnologie völlig unsicher.

Die Bundesregierung lobt sich selbst für „Ein ambitioniertes Programm“. Die Bundeskanzlerin betont in der Pressekonferenz nach der Präsentation des Konjunkturpakets mehrmals, dass es darum geht, „in die Zukunft zu investieren“. Das Konjunkturpaket zeigt jedoch keine Hinweise auf eine sozial-ökologische Transformation, die für einen ernsthaften Umgang mit der gegenwärtigen Klimakrise und zukünftigen Klimakatastrophen notwendig wäre. Zu erkennen sind eine Stabilisierung der Automobilindustrie und die Priorität einer motorisierten Mobilität. Es wird langfristig eine Antriebswende aber keine Mobilitätswende angestrebt. Zu erkennen ist außerdem eine Stabilisierung ressourcen- und emissionsintensiver Industrien. Es wird eine Stromwende, aber keine Systemtransformation extraktivistischer Industrien angestrebt.

Die fossile Industrien und ihre Lobbyverbände haben sofort auf das Konjunkturpaket der Bundesregierung reagiert, um einen größtmöglichen Anteil der sprudelnden Finanzmittel zu sichern. Der Think Tank IN4climate.NRW, dem extraktivistische, klimaschädliche Unternehmen wie RWE, Shell, Thyssen Krupp und HeidelbergCement angehören, sieht den „Zeitpunkt, massiv in innovative Prozesse und nachhaltige klimaneutrale Ökonomien zu investieren“ und hat am 4. Juni 2020 das Diskussionspapier „Green Industrial Recovery“ veröffentlicht, in dem sie ihre Ideen eines „klimaschutzorientierten Konjunkturprogramms“ vorstellen.

Darin enthalten ist der Wunsch nach Investitionen in die Förderung von Prozessinnovationen (z. B. wasserstoffbasierte Stahlerzeugung), in den Ausbau von Erneuerbaren Energien im Stromsektor (z. B. Wärmespeicher) und die Schaffung neuer Absatzmärkte für sogenannte Grüne Produkte (staatliche Anreize und freiwillige Standards).
Die gleichen Investitionsforderungen hält die Industrielobby auch für den geplanten „Green New Deal“ der EU-Kommission bereit. Das zentrale Argument für eine staatliche Subventionierung ist die Konkurrenzfähigkeit im globalen Wettbewerb bei der klimaneutralen Herstellung von Stahl, Aluminium, Zement, Grundstoffchemikalien, Glas, Papier. Diese Strategie ist ein „Weiter so“ der extraktivistischen, ressourcenintensiven Industrien, die auch in Zukunft soziale und ökologische Kosten des Abbaus und der Verarbeitung ihrer Rohstoffe in periphere Regionen externalisieren wollen.

Die Bundesregierung versucht mit ihrem Investitionsprogramm, die ungebrochene Hoffnung auf technologische Innovationen zur Bewältigung aller Krisen zu befeuern. Die Corona-Krise wird zum Anlass genommen Investitionen in eine Grüne Ökonomie zu beschleunigen, die ein ungebremstes Wirtschaftswachstum ohne zusätzlichen Naturverbrauch und mit null Emissionen verspricht. Dieses Versprechen ist auf einer begrenzten Erde nur zum Preis nationaler Egoismen und imperialer Lebensweisen zu realisieren. Und gleichzeitig werden alternative Wirtschaftsmodelle wie die Gemeinwohlökonomie oder eine solidarische Ökonomie übersehen und behindert.

Diese Vorstellung von Klimaschutz in Form einer technologiebasierten „ökologischen Modernisierung“ der Industrie ist mit vielen Konflikten behaftet, die außerhalb Deutschlands stattfinden oder erst in der Zukunft sichtbar werden. Die angekündigte Klimaneutralität der deutschen Industrie wird im Konjunkturpaket der Bundesregierung nur innerhalb der nationalen Grenzen betrachtet. Die ökologischen Kosten und Risiken fallen aber auch und vor allem in peripheren Regionen an. Abbau und Transport der Rohstoffe für Stahl- und Zementindustrie hat Emissionen und häufige Umweltkatastrophen zur Folge, die für die deutsche Umweltbilanz keine Rolle spielen werden. Klimagerechtigkeit im Sinne globaler Gerechtigkeit sieht anders aus. Ein Konjunkturprogramm, dass auf unbegrenztes Wachstum und globalen Wettbewerb und Weltführerschaft der nationalen Wirtschaft setzt, ist das Gegenteil einer suffizienzbasierten Klimapolitik, die zukünftige Krisen vermeiden lässt.

„Just Transition“: Umkämpfte Gerechtigkeit beim UN-Klimagipfel 2018

Sybille Bauriedl

„Gerechtigkeitsvorstellungen variieren je nach Kontext, politisch-ideologischem und theoretischem Standpunkt. Sie sind gesellschaftlich umkämpft und verändern sich im Laufe der Zeit. Gerechtigkeit umfasst darüber hinaus unterschiedliche politische Dimensionen wie gesellschaftliche und politische Teilhabe, Repräsentation von Interessen oder Verteilung gesellschaftlichen Wohlstands (Nancy Fraser 2003). Mit dem Begriff der Klimagerechtigkeit ist es nicht anders. In der internationalen Klimapolitik bedeutet Klimagerechtigkeit, entsprechend der UN-Klimarahmenkonvention von 1992 (United Nations Framework Convention on Climate Change, UNFCCC), dass Industrieländer eine höhere Last bei der Reduzierung der globalen Treibhausgasemissionen zu tragen haben als die so genannten Entwicklungsländer“ (Achim Brunnengräber und Kristina Dietz 2016 in „Wörterbuch Klimadebatte“, S. 157).
Der UN-Klimagipfel im Dezember 2018 in Kattowice (COP 24) hat gezeigt, dass Gerechtigkeitsvorstellungen wieder mal verschoben wurden. Der Klimagerechtigkeitskonsens, auf dem die UN-Klimaschutzmechanismen seit dem Kyoto-Protokoll von 1997 beruhen, hat eine neue geopolitische Zuordnung. Unter dem Begriff „Just Transition“ (gerechter Übergang) wird nun auch die gerechte Verteilung der Klimaschutzlasten zwischen den Industriestaaten diskutiert. Und diese Diskussion wurde von den Industriestaaten aufgebracht, die am umfangreichsten Kohle abbauen und verbrennen. Sie erwarten mit dem Ruf nach einem gerechten Übergang eine Kompensation von den anderen Industriestaaten, bevor sie aus dem Kohleabbau aussteigen. Ein gerechter Übergang ist im Sinne der europäischen Kohleländer nichts anderes ein Förderfond für die Bewältigung des Strukturwandels in den Kohleregionen.

„Just Transition“: Kohleregionen subventionieren für den Klimaschutz
Die Idee von „Just Transition“ beim UN-Klimagipfel 2018 in Katowice (COP 24) wurde insbesondere von den Verhandlungsführer*innen der europäischen Kohlestaaten und der Europäische Gewerkschaftsbund (ETUC) vorgetragen. Die ETUC hatte schon in der Vorbereitung auf den Klimagipfel 2018 ihre neue Gerechtigkeitsposition mit dem Slogan “how to protect the climate without sacrificing quality jobs” in Stellung gebracht und warnte vor einem gesellschaftlichen Kollateralschaden einer postfossilen Wirtschaft.Hier zeigt sich auch schon für die oberflächliche Betrachter*in, dass sich die Profiteure der fossilen Industrien den Übergang in eine postfossile Zeit kompensieren lassen wollen.
Auch der Internationale Gewerkschaftsbund (ITUC) hat 2015 ein Statement veröffentlicht, in dem sie klar stellt, dass es kein Abwägen von Klimaschutzzielen und Industriearbeitsplätzen geben kann und dass die Lebensräume von Menschen im globalen Süden schon heute durch Treibhausgasemissionen der Industrieländer bedroht sind.

Bis zum Klimagipfel 2018 ist jedoch immer deutlicher geworden, dass zumindest die europäischen Industriegewerkschaften den Begriff „Just Transition“ neu besetzt haben für eine wirtschaftsorientierte Zielsetzung, die nicht mit einer sozial inklusiven Klimagerechtigkeit zu verbinden ist und es nicht um einen Arbeitsplatzerhalt um jeden Preis gehen kann und die Abfederung des Strukturwandels nicht allein der Gesamtgesellschaft aufgebürdet werden kann, nachdem die fossilen Unternehmen jahrzehntelang von der kostenlosen Treibhausgasemission profitiert haben.
Die International Labour Organization (ILO) hat 2017 noch einen anderen Standpunkt zu Just Transition veröffentlicht, in dem sie feststellt, dass Klimagerechtigkeit zu einer postfossilen Gesellschaft und nachhaltigen Wirtschaft führen muss, die auch mit geschlechtergerechten und angemessenen Arbeitsverhältnissen und Löhnen verbunden ist und Frauen als relevante Akteure des Klimaschutzes berücksichtigt (auch im Bereich der unbezahlten Sorgearbeit). Dabei liegen schon heute Vorschläge für einen Umbau kohlebasierte Industrien vor.

„Schlesische Deklaration für Solidarität und einen gerechten Übergang“
Die Unterzeichner der Deklaration fordern einen Paradigmenwechsel der internationalen Klimapolitik für eine klimaresiliente Wirtschaft und Gesellschaft, die hohes Wachstum sichert und gleichzeitig einen gerechten Übergang der Erwerbstätigen gewährleistet. Die betroffenen Beschäftigten fossiler Industrien sollen mit neuen Arbeitsplätze versorgt werden. Der Arbeitsstandard und der Wohlstand von Arbeitern und ihren Familien soll durch die nationalen Emissionsreduktionbeiträge und durch Klimawandelanpassungen nicht gefährdet werden. Ein gerechter Übergang soll mit neuen Qualitätsarbeitsplätzen in den betroffenen Regionen verbunden werden.
In der Konsequenz müssten Infrastrukturen für eine postfossile Wirtschaft in den Kohle- und Altindustrieregionen aufgebaut und Industriearbeiter umgeschult werden, bevor die emissionsintensiven Industrien runtergefahren werden.

Schon der neunte Petersberger Klimadialog im Juni 2018 stand unter dem Motto „Changing together for a just transition“. Der Dialog dient für die deutsche Bundesregierung dazu, die Koalition der klimaschutzwilligen Staaten auf eine einzuschwören, versicherten die delegierten Minister*innen, dass sie die anstehenden Veränderungen im Sinne einer „Just Transition“ sozial gerecht gestalten wollen. Der Präsident der 24. Weltklimakonferenz, Staatssekretär Michal Kurtyka, hatte schon dort formuliert: „Die Menschen gehören in das Herz unserer Politik. Das heißt, dass unsere Klimapolitik Vorteile für die Gesellschaft und einen gerechten Wandel für alle Bürgerinnen und Bürger sicherstellen muss.“ Gemeint war die Gesellschaft der Industriestaaten, die nach einem Viertel Jahrhundert internationaler Klimaverhandlungen in Zukunft nun auch die Lasten des Klimaschutzes zu spüren bekommen werden. Und diese sollen vorausschauend abgefedert werden.
Die deutsche Bundesumweltministerin Svenja Schulze bringt den Begriff „Just Transition“ auch beim Klimagipfel in Kattowice in jedes Fernsehmikrofon (z.B. Tagesschau 11.12.2018). Sie bringt die notwendige Finanzierung des Strukturwandels in mehr als 40 Kohleregionen Europas durch die EU ins Spiel: „Ich würde es sehr begrüßen, wenn wir im nächsten EU-Haushalt auch mehr Mittel für die vom Strukturwandel betroffenen Regionen bereitstellen“. Allein die betroffenen deutschen Kohleregionen fordern aktuell zusammen 60 Milliarden Euro für neue Jobs und Infrastruktur. Im Vergleich: In den Green Climate Fund zur Finanzierung der notwendigen Klimaanpassungsmaßnahmen in Entwicklungsländern hatte Deutschland bisher 750 Mio. Euro beigetragen und in Kattowice noch einmal 1,5 Mrd. angekündigt.

„Just (industrial) Transition“: strategischer Begriff der Klimabewegung
Die international vernetzten sozialen Klima-Bewegungen beziehen sich auf einen machtkritischen Begriff von Klimagerechtigkeit (climate justice). „Sie fassen darunter neben ökologischer und sozialer Verteilungs- und Verfahrensgerechtigkeit auch Gerechtigkeit zwischen Geschlechtern und zwischen ethnischen Gruppen. Beispiele hierfür sind die Netzwerke Climate Justice Now! und Climate Justice Action. Klimagerechtigkeit wird hier mit der Forderung nach gesellschaftlicher Teilhabe und anderen Konsum- wie Produktionsformen verbunden“ (Brunnengräber/Dietz in „Wörterbuch Klimadebatte“, S. 161).

Ursprünglich war „Just Transition“ vor zehn Jahren als ein strategischer Begriff von Umwelt-Gruppen konzipiert worden, die eine Koalition mit Gewerkschaften anstrebten, um die Kämpfe für bessere Arbeitsverhältnisse, Gesundheit und globalen Umweltschutz zu verbinden. Es sollten die Interessengegensätze zwischen Gewerkschaften und Klimabewegung überwunden werden, um den Umbau einer extraktivistischen Ökonomie zu einer regenerativen Ökonomie zu schaffen (vgl. Movement Generation 2011).


Abb. aus Movement Generation 2011, S. 16

Die „Climate Justice Alliance – Communities united for a just transition“ bezieht sich direkt auf die Umweltgerechtigkeitsbewegung der 1980er Jahre, die aus lokalen Protesten gegen einen systematischen Umweltrassismus hervorgegangen ist, der insbesondere arme, schwarze Gemeinschaften Industrieabfällen ausgesetzt hat. Für diese Organisation ist Just transition „a place-based set of principles, processes, and practices that build economic and political power to shift from an extractive economy to a regenerative economy“. Und sie positionieren sich gegen ein Grünes Wachstum im Sinne von Unternehmensprofiten und für eine Idee des Guten Lebens (Buen Vivir) und die Veränderung ungerechter Machtverhältnisse.

GenderCC-Women for Climate Justice hat im Rahmenprogramm des COP 24 ebenfalls ein explizit wachstumskritisches Just Transition-Konzept und eine intersektionale Perspektive auf Gerechtigkeit vertreten: „Just Transition needs to promote rapid decarbonization, challenge social inequalities and overcome a green growth agenda. We need to question the predominant idea of work, power relations and consider intersectional issues (gender, human rights) and the participation of indigenous and local communities“.

Auch die deutsche Klimagerechtigkeitsbewegung rund um Ende Gelände hat im Rahmen der Anti-Kohlekämpfe unter dem Stichwort „gerechte Übergänge“ den Austausch mit Industriegewerkschaften und den Bergbauarbeitern in den Braunkohlerevieren gesucht. (vgl. Tadzio Müller 2016 in der Zeitschrift politische ökologie 144)

Narrativverschiebung von „Gerechtigkeit“ und „Vulnerabilität“
Rund um den Klimagipfel in Paris 2015 hatten viele Vertreter*innen sozialer Klima-Bewegungen noch das Potential Konzepts der „gerechten Transformation“ für strategische Bündnisse und ungenutzte Synergien hervorgehoben, mit dem Klimagerechtigkeits- und Arbeiter*innenbewegung zusammengebracht werden könnten.
Das Synergiepotential ist mit der Übernahme des Begriffs durch die europäischen Industriegewerkschaften und Kohleregionen verpufft. Wenn diese nur noch für eine Einkommenssicherung der Kohlearbeiter kämpfen wollen, dann hat das wenig mit der Idee von Klimagerechtigkeit zu tun.

Die Vertragspartner des UNFCC haben Klimagerechtigkeit bisher als Lastenverteilung zwischen Ländern verstanden, die seit der industriellen Revolution besonders hohe Treibhausgase und damit den Klimawandel verursachen und Ländern, die besonders von den Klimawandelfolgen betroffen sind und über geringe Mittel zur Anpassung verfügen. Dieser Konsens beruhte auf der Anerkennung von ökonomischer Ungleichheiten und ungleicher Verantwortung für die Krisenverursachung und Krisenbetroffenheit. Immerhin!
Auch wenn postkoloniale Macht- und Herrschaftsverhältnisse bisher immer ausgeblendet und durch die Sprachregelung der sogenannten „Industrieländer“ und „Entwicklungsländer“ sogar reproduziert wurden, so ist durch die Ideologie eines linearen, eurozentrischen Modernisierungsideals Regionen im Globalen Süden zumindest ein gewisses Maß an ökonomischer Gerechtigkeit im Sinne einer „nachholenden Entwicklung“ zugesprochen worden. Die Forderungen internationaler sozialer Bewegungen konzentrierten sich auf die Ergänzung prozeduraler Gerechtigkeit im Sinne der demokratischen Teilhabe an klimapolitischen Entscheidungsprozessen.
Bisher drehte sich die Diskussion um die Finanzierung von Anpassungsmaßnahmen in besonders vulnerablen Regionen im Globalen Süden mit Fokus auf die Lebenssituation von armen Frauen. Vulnerabilität wurde als ein Produkt von ungleichem sozio-ökonomischem Status und Einkommen betrachtet, die auf hierarchisierten Geschlechter- und Klassenverhältnissen basieren (vgl. ILO-Report: „Gender, labour and a just transition towards environmentally sustainable economies and societies for all“).

Die Schlesische Deklaration rückt nun Männer mit einem bisher gesicherten Einkommen im Globalen Norden ins Zentrum. Die Gerechtigkeitsdiskussion des letzten Klimagipfels kann daher auch als identitätspolitische und sozialräumliche Wende der Klimadebatte gelesen werden. Sind europäische Kohleregionen im globalen Maßstab besonders vulnerabel? Sind europäische Männer, die in einer fossilen Industrie tätig sind besonders vulnerabel im Vergleich zu anderen Arbeiter*innen?
Oder dient die Diskussion um eine Kompensation der Kohleregionen primär der Verlangsamung des Kohleausstiegs und der anhaltenden Subvention einer destruktiven Industrie?

Klima(un)gerechtigkeit in Städten

von Sybille Bauriedl

Städte sind nicht nur Wohnstandorte. Sie sind auch Standorte für Gewerbe, Industriebetriebe und überregionale Verkehrsknoten. Städte wie Berlin oder Frankfurt am Main beherbergen außerdem internationale Transitflughäfen, die Stadt Hamburg einen Hafen, der fast ein Zehntel der Stadtfläche einnimmt. Diese Nutzungsmischung führt zu enormen Luft- und Lärmbelastungen und Luftverschmutzungen. Jährlich sterben Millionen Menschen weltweit an den Folgen von Luftverschmutzung. Mit der globalen Erwärmung nimmt auch die Hitzebelastung in Städten zu. Teer- und Betonflächen heizen besonders auf, und durch die Bebauungsdichte steigt die Temperatur einer Stadt in Hitzeperioden extrem an. Maßnahmen der Lärm- und Hitzereduktion sowie der Frischluftzirkulation waren daher seit dem Städtebauboom ab den 1880er Jahren ein zentrales Thema der Stadtentwicklung in Europa. Naturräume und Grünzüge haben seither eine fundamentale Bedeutung für die Vermeidung gesundheitlicher Risiken und für die Lebensqualität in Städten.

Die Bewahrung der luftqualitäts- und temperaturregulierenden Funktion von Stadtnatur ist eine zentrale Aufgabe der Kommunalverwaltung. Insbesondere Stadtplanungs- und Umweltbehörden sind für die Messung, Kontrolle und Vermeidung gesundheitlicher Risiken durch Lärm- und Luftverschmutzungen zuständig. Die Abwägung einer gesundheitsverträglichen Belastung wird in Soll- und Grenzwerte übertragen und über Luftreinhalte- und Lärmaktionsplanungen sowie über Verkehrsentwicklungspläne, Freiraumentwicklungsplanung, Klimaschutz- und Klimaanpassungskonzepte gesteuert.

Diese Aufgabe der Vermeidung von Gesundheitsrisiken und Biodiversitätsverlusten erfährt aktuell allerdings eine Umdeutung. Im Wettbewerb der Städte um internationale Aufmerksamkeit steht immer mehr die Inwertsetzung von Umweltpotentialen im Vordergrund. Die Wertschätzung von Natur zeigt sich nun immer stärker über eine ökonomische Bewertung ihrer Ökosystemdienstleistungen. So qualifiziert beispielweise das Forschungsprogramm „Naturkapital Deutschland“ die Stadtnatur mit Bezug auf ökonomische Variablen. Mit diesem Ansatz sollen explizit Unternehmen, Konsumenten und stadtpolitischen EntscheidungsträgerInnen die Kosten und der Nutzen von Stadtnatur vor Augen geführt werden. Gesundheits- und Naturschutzaspekte sollen im Kontext konkurrierender Nutzungsinteressen betrachtet und eine Multifunktionalität von Stadtnatur erkannt werden

Deutsche Großstädte verfügen über 46 bis 71 Quadratmeter Grünfläche je EinwohnerIn. Dieser Durchschnittswert täuscht darüber hinweg, dass Grünraum ungleich und sozial ungerecht über die Stadt verteilt ist. Gerade hoch verdichtete innerstädtische Quartiere bieten pro Person sehr viel weniger öffentliche Grünflächen als die locker bebauten Stadtteile, in denen viele BewohnerInnen über einen privaten Garten verfügen. In den Quartieren mit höherer Lärmbelastung, schlechterer Luftqualität und größeren Hitze- und Hochwasserrisiken leben zugleich mehrheitlich einkommensschwache StadtbewohnerInnen. Dabei tragen gerade diese StadtbewohnerInnen auf Grund eingeschränkter Konsummöglichkeit weniger zur lokalen – und auch globalen – Umweltbelastung bei. Insbesondere Verkehrsemissionen und Fluglärm werden vor allem von StadtbewohnerInnen mit mittlerem und hohem Einkommen verursacht.

Diese ungerechte Diskrepanz zwischen Verursachung und Betroffenheit von Umweltbelastungen im Stadtraum ist ein Ergebnis sozialer Segregation (des räumlichen Ein- bzw. Ausschlusses entlang von soziokultureller Identität und sozialem Status), die über die Wohnungskosten gesteuert wird. Die teuersten Grundstücke sowie die höchsten Mieten und Immobilienpreise finden sich in Stadtteilen, in denen frischer Wind auf die Stadt trifft (in europäischen Städten sind reiche Stadtteile daher fast immer im Westen zu finden) sowie in Frischluftschneisen (an Stadtparks, Seen, Flüssen). Gesundheitsbelastende Industrien und Infrastrukturen (Kläranlagen, Mülldeponien u.ä.) dagegen finden sich häufig in Stadtteilen mit einem hohen Anteil an armer und Migrationsbevölkerung. Diese Bevölkerungsteile verfügen in der Regel über eine geringe politische Teilhabe, und von ihnen wird kein politischer Widerstand erwartet.

Für die Problematisierung von Umweltgerechtigkeit sind folgende Fragen relevant: Wie können (unvermeidbare) Umweltbelastungen angemessen verteilt werden? Wie kann allen StadtbewohnerInnen ein gleichberechtigter Zugang zu gesunder Umwelt ermöglicht werden? Wie können insbesondere Betroffene von Umweltbelastungen an Entscheidungsprozessen beteiligt werden?

Gesamter Beitrag im Themenschwerpunkt „Stadt und Gesellschaft“ der Bundeszentrale für politische Bildung (veröffentlicht am 9.7.2018)

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„Brand“ – Filmtrilogie gegen den Braunkohleabbau im Rheinland

Sybille Bauriedl

Am 11. März 2018 hatte die dreiteilige Dokumentarfilmreihe „Brand“ in Düsseldorf Premiere, die sich eindeutig für ein Ende des Tagebaus positioniert. Susanne Fasbender hat in Kooperation mit dem Hambacher Forst Filmkollektiv drei Filme produziert, für die sie zwischen 2012-2017 Landschaften und Dörfer gefilmt haben, die dem Braunkohlenabbau geopfert wurden bzw. noch werden sollen sowie betroffene und aktiv eingreifende Menschen zur Sprachen kommen lassen. Damit erfassen sie die Zusammenhänge zwischen Rohstoffabbau, Landnahme, Wirtschaftswachstum und Klimakrise auf deutliche Weise.
Die drei Teile sind eigenständige Dokumentationen zu einzelnen Themenschwerpunkten:
1. „Vom Eigentum an Land und Wäldern“, 113 min
2. „Gegenwart der Dörfer und Bepreisung von Natur“, 111 min
3. „Widerstand im reichen Land“, 120 min

Zu den Filmen gibt es eine materialreiche Broschüre.
Auf der homepage zu dem Filmprojekt ist auch ein 13-minütiger Trailer zu sehen.
Zur Premiere ist auf „Schattenblicke“ eine Rezension und eine Zusammenfassung der Diskussion mit Protagonist_innen der Filme erschienen.

Mehr zum Thema Kohlefreunde und zu brown grabbing auch auf diesem Blog.

The Right Way to Remember Rachel Carson

…When people talk about you they’ll say ‘Oh yes, the author of Silent Spring,’ for I suppose there are people who never heard of The Sea Around Us

Sehr lesenswerter Artikel von Jill Lepore in „The New Yorker“, 26. März 2018

…Before Carson got sick, and even after, when she still believed she might get better, she thought that she’d take up, for her next book, a subject that fascinated her. “We live in an age of rising seas,” she wrote. “In our own lifetime we are witnessing a startling alteration of climate.”…

Globaler Anstieg von Emissionen und Migration

Sybille Bauriedl

Ende März 2018 sind zwei Studien erschienen, die den Trend der sozial-ökologische Transformation quantitativ beschreiben.
Die Internationale Energieagentur liefert in ihrem Statusbericht 2017 die Zahlen zum Anstieg der energiebezogenen CO2-Emissionen. Diese haben absolut um 1,4 % gegenüber 2016 zugenommen und damit (wieder mal) einen historischen Höchststand erreicht. In einigen Industriestaaten hat zwar die Energieproduktion aus Erneuerbaren stark zugenommen (u.a. USA), aber gleichzeitig ist hat auch die Nutzung von Erdgas und Erdöl zugenommen. Von Dekarbonisierung im globalen Maßstab keine Spur. Der Abschwung der Nutzung fossiler Energieträger 2015 und 2016 war offensichtlich konjunkturbedingt.

Gleichzeitig hat die Weltbank ihren Bericht zur Klimamigration publiziert. Auch hier wird quantitativ argumentiert, auf Basis von aktuellen nationalen Bevölkerungsdaten, die in die Zukunft fortgeschrieben werden. Der Bericht prognostiziert in einem Szenario mit ungebremsten Klimawandel für 2050 eine Migration von 140 Millionen Menschen.

Der Weltbankbericht präsentiert geodeterministische Verräumlichungen des Migrationsproblems auf zwei Maßstabsebenen. Erstens identifiziert er drei Großregionen der Klimamigration: Subsahara Afrika, Südasien und Lateinamerika. Zweitens identifiziert er hotspots der Ausgangspunkte von Klimamigration (klimavulnerable Gebiete von denen aus Menschen mit höherer Wahrscheinlichkeit weggehen) und hotspots der Wanderungsziele (Gebiete in denen Menschen sich eine neue Existenz aufbauen). Und diese hotspots finden sich innerhalb nationaler Grenzen. Klimawandel verursacht Binnenmigration und keine internationalen „Migrationsströme“.

Mit einer engagierten Reduktion der Treibhausgasemissionen und einer Entwicklungshilfe, die an Klimaschutz gekoppelt ist, könnte im best case Szenario der Weltbank die Zahl der Klimamigrant*innen auf „nur noch“ 100 Millionen sinken (was wohl beides nicht eintreten wird, siehe IEA-Bericht). Aber die Weltbank relativiert das Problem und verweist auf die Migrationszahlen der Vergangenheit und stellt fest: die Menschheit war immer in Bewegung – aus sozialen, politischen oder ökonomischen Gründen. Klimawandel ist in dieser Lesart nur ein Faktor neben vielen – und die anhaltende Nutzung von fossilen Energieträgern also nicht allein verantwortlich für soziale Tragödien und eine nachhaltig globale Entwicklungsungerechtigkeit.

Atlas der Umweltmigration

Sybille Bauriedl
Rezension:
Atlas der Migration, herausgegeben von Dina Ionesco, Daria Mokhnacheva, François Gemenne, Oekom Verlag, Mai 2017, 176 Seiten, 22,– Euro


Umweltmigration ist ein politisch umkämpfter und wissenschaftlich umstrittener Begriff. Handelt es sich bei der Umweltmigration um internationale Wanderungsbewegungen auf Grund des Klimawandels oder um eine kurzfristige, reaktive Flucht vor Extremwetterereignissen in eine Nachbarregion? Sind allein Umweltbedingungen die Ursache oder spielen andere Faktoren eine Rolle? Die Antworten auf diese Fragen, wie auch der Begriff selbst haben entscheidenden Einfluss sowohl auf im Umgang mit Umweltveränderungen, mit Migrationsmotiven, wie auch mit den Migrant_innen selbst. Genauso problematisch sind die Begriffe „Klimaflucht“, „klimawandelinduzierte Migration“, „umweltbedingte Vertreibung“ usw.
Die Migrationsdebatte verfällt allzu oft in einen diffusen Umwelt- und Geodeterminismus. Auffällig ist, dass Umweltmigration fast ausnahmslos ein Problem des Globalen Südens zu sein scheint. Obwohl der Meeresspiegel weltweit ansteigt, gelten nicht sämtliche Bewohner_innen von küstennahen Tiefländern als potenziell gefährdet. Offenbar wird stillschweigend davon ausgegangen, dass in wohlhabenden Volkswirtschaften Ressourcen zur Anpassung an den Klimawandel vorhanden sind. Ein deutliches Indiz dafür, dass es sich um keineswegs ausschließlich ökologische Probleme handelt.
Der Begriff Umweltmigration ist aus diesem Grund oft kritisiert worden. „Umweltmigration“ suggeriert, dass die Umwelt maßgeblich für die Vertreibung und Flucht von Menschen verantwortlich ist und blendet die gesellschaftlich hergestellten Migrations- und Fluchtursachen aus. Das Denkmodell der Umweltmigration nimmt nur Push-Faktoren in den Blick und ignoriert Anreize, die mit den Zielorten verbunden werden, z.B. zunehmendes internationales Wohlstandsgefälle. Global betrachtet führen wahrscheinlich mehr Wanderungen hin zu ökologischen Problemgebieten als fort von dort, wie die Land-Stadt-Wanderung in überschwemmungsgefährdete Küsten- und Megastädte in China und Indien.
Migrationsgründe und -entscheidungen sind sehr komplex. Der „Atlas der Migration“ schafft es, mit seinem umfangreichen Kartenwerk und begleitenden ein- bis zweiseitigen Texten, die vielfältigen Ursachen und Zusammenhänge zu veranschaulichen (das Format lehnt sich an den bewährten „Atlas der Globalisierung“ von Le Monde diplomatique an). Der Atlas thematisiert Migration nicht nur als erzwungene Reaktion und als Alarmsignal in Zeiten des Klimawandels. Er zeigt Migration wird auch als freiwillig gewählte Strategie der Anpassung an veränderte Lebensbedingungen. Außerdem wird deutlich, dass Umweltmigration nicht zwangsläufig zu Konflikten und Krisen in den Zielländern führt. Mit dieser Argumentation positionieren sich die Herausgeber klar im Feld des Sicherheitsdiskurses, der Abschottung gegen und der Viktimisierung von Menschen, die von Umweltbelastungen betroffen sind.
Herausgeber des Atlas der Umweltmigration sind die kirchlichen Hilfswerke Brot für die Welt und Misereor in Zusammenarbeit mit der Internationalen Organisation für Migration (IOM). Leittragende des Klimawandels und anderer globaler Umweltveränderungen „sind oft die ohnehin Armen und Marginalisierten in den sogenannten Entwicklungsländern“ schreiben die Herausgeber in ihrem Vorwort. Sie verstehen damit Klimawandel nicht als die Hauptursache von Migration, jedoch als Verstärker von Migrationsmotiven, die auf sozialer Ungleichheit beruhen. Das Engagement der Hilfswerke zielt auf die kurzfristige humanitäre Hilfe und zusätzlich fordern sie eine verlässliche, langfristige finanzielle Unterstützung der betroffenen Länder durch die Regierungen der Industrieländer. Anstatt Abschottung Europas gegen Flüchtende „muss Migration als legitime und in vielen Fällen existentielle Überlebensstrategie akzeptiert und ermöglicht werden.“ Diese Aussage – nicht die Flüchtenden sind das Problem, sondern die ökologische und die soziale Situation in der sie leben – untermauern die Themenbeiträge des Atlas der Migration. Diese zeigen, dass sich hinter dem Begriff „Umweltmigration“ unzählige verschiedene Dynamiken verbergen. Und sie verweisen auf das Phänomen der erzwungenen Immobilität, die in Zeiten des Klimawandels zu zunehmend hohen Todesopferzahlen geführt haben.


Der Atlas ist in vier Abschnitte gegliedert. Im ersten Teil werden die vielfältigen Formen von Migration erklärt und Prognosen der Umweltmigration in Karten vorgestellt. Der zweite Teil stellt aktuelle Phänomene globaler Umweltveränderungen und deren negativen Auswirkungen auf menschliche Lebensbedingungen dar. Im dritten Abschnitt werden soziale und ökologische Ursachen aktueller Migrationstrends erklärt. Der vierte Abschnitt verdeutlicht die Möglichkeiten und Schwierigkeiten politischer Lösungen bei der Reduktion erzwungener Migration. Der Atlas schließt mit einer umfangreichen Literaturliste und einem Glossar.
Der Atlas der Umweltmigration ist das bisher umfangreichste Kartenwerk mit allgemeinverständlichen Erläuterungen in deutscher Sprache. Die Karten und Texte basieren im Wesentlichen auf aktuellen Daten der Internationalen Organisation für Migration, die durch Studien weiterer Institutionen der Migrationsforschung ergänzt werden. Die Karten zeigen globale, regionale, nationale und lokale Migrationspfade temporärer, saisonaler und dauerhafter Migrationsformen und unterscheiden hydrologische Gefährdungen (Überschwemmungen), geophysikalische (Erdbeben, Tsunamis), meteorologische (Hitzewellen, Wirbelstürme), klimatische (Dürren) wie auch technische Gefährdungen (Industrieunfälle, Verschmutzung, Staudamm-, Straßen-, Bergbau) sowie Folgen zerstörter Ökosysteme (Gletscherschmelze, Entwaldung, Bodendegradation, Überfischung).

Vorwort abrufbar beim Oekom-Verlag

Siehe auch Carsten Felgentreff: Klimaflüchtlinge. In: Wörterbuch Klimadebatte, S. 141-148.